So lief das Rennen…

Grünwald bei München, Donnerstag, 7. September 1972
Startzeit: 10.00
Streckenlänge: 8 Runden à 22,8 km (Totaldistanz 182,4 km)
Höhenmeter: ca. 225 Meter/ Runde, ca. 1800 Meter total
Wetter: schön (heiss)

Von Markus Kammermann

Durch das Olympia-Attentat am Dienstag, 5. September, wurden die Spiele für einen Tag unterbrochen und das ursprünglich für den 6. September terminierte Strassenrennen wurde um einen Tag verschoben. So nahmen am Donnerstag Vormittag 163 Teilnehmer aus 48 Nationen die 182 Kilometer lange Strecke südlich von München unter die Räder. Start- und Ziel befanden sich auf der Tölzer Strasse am südlichen Ortsende von Grünwald.
Die als relativ schwer eingestufte Strecke, mit teilweise eher schmalen Strassen und den Serpetinen hinuter zur und hinauf von der Isar bei Schäftlarn, war wohl der Hauptgrund dafür, dass schon nach einem Viertel der gefahrenen Distanz über ein Viertel der Teilnehmer, vor allem solche aus exotischen Radsportnationen, bereits den Anschluss ans Hauptfeld verloren hatten. Es gibt auch einige Stürze, denen unter anderen auch DDR-Fahrer Wolfram Kühn (zweimal gestürzt) zum Opfer fällt.
In der vierten Runde kommt Leben in das Hauptfeld, schnell hat sich eine 15-köpfige Spitzengruppe abgesetzt. Im offiziellen Olympia-Buch der DDR (Spiele der XX. Olympiade München 1972) steht, dass alle DDR-Fahrer diese Gruppe verpasst hätten, weil diese im letzten Drittel des Feldes operierten, als vorn die Post abging.
Die 15 Mann, die sich vom Hauptharst absetzen, sorgen, wie sich später herausstellen sollte, bereits für die Vorentscheidung in diesem olympischen Strassenrennen, obwohl keiner der grossen Favoriten darin vertreten war. Ihr Vorsprung vergrössert sich kontinuierlich.
In dem Augenblick als der Niederländer Fedor den Hertog im Alleingang zur Spitzengruppe aufschliesst, attackiert sein Landsmann Hennie Kuiper und setzt sich über 30 Kilometer vom dem Ziel entscheidend von allen verbliebenen Konkurrenten ab. Mit 27 Sekunden Vorsprung fährt er solo in Grünwald ein und sorgt damit für den ersten niederländischen Sieg an einem Olympia-Strassenrennen. Hinter Kuiper sichert sich der Australier Kevin Clyde Sefton Silber und der Spanier Jaime Huelano Bronze. Der Spanier durfte sich allerdings nicht lange über sein Edelmetall freuen, wurde er doch des Dopings überführt. Der Bronze-Platz blieb vakant. Weshalb man sich entschied, den viertplatzierten Bruce Biddle aus Neuseeland nicht mit Bronze zu dekorieren, entzieht sich meiner Kenntnis.
Die deutsche Mannschaft mochte sich nach der Schmach im Mannschaftszeitfahren (nur Platz 20) einigermassen zu rehabilitieren. Wilfried Trott platzierte sich als bester des deutschen Quartetts auf Rang 7. Im Vorfeld des Rennens gab es nach der Schlappe mit der Mannschaft diverse Streitigkeiten innerhalb des Teams. Nationaltrainer Rudi Altig nominierte am Vorabend des Rennens anstelle des vorgesehenen Karl-Heinz Küsters Erwin Tischler. Im Nachhinein rechtfertigte Tischler als wohl aktivster deutscher Fahrer und dem 22. Rang die Last-Minute-Nomination voll und ganz. Altig begründete die Nomination Tischlers aufgrund von Trainingsbeobachtungen.
Im Buch (Olympische Spiele 1972 ) resümiert der Schweizer Sportjournalist Josef „Sepp“ Renggli, dass die Konkurrenz im Strassenradsport mehr und mehr aus Übersee komme. Unter den ersten Zehn rangierten nach 182 Kilometern ein Australier, ein Neuseeländer, ein Kolumbianer und ein Mexikaner.

76 Fahrer beendeten das Rennen nicht

Die komplette Rangliste zum Rennen gibt es hier

Eine Episode am Rande des Rennens:
Sieben Fahrer aus Nordirland, dessen nationaler Verband NCA sich vor dem Hintergrund des Nordirlandkonflikts vom anderen irischen Radsportverband abspaltete und nicht zu Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften zugelassen war, machten sich für eine Protestaktion auf den Weg nach München. Drei der nordirischen Sportler wurden von den Offiziellen schon am Start entdeckt und „aus dem Rennen“ genommen. Einzig Pat Healy gelang es, unentdeckt zu bleiben. Er nahm das Rennen (ohne Startnummer) in Angriff. Drei weitere Nordiren versteckten sich irgendwo in einem Waldstück an der Strecke und mischten sich im Laufe der ersten Runde ins Fahrerfeld. Einer der Fahrer, Batty Flynn, führte sogar zeitweise das Feld an und verwirrte einige TV-Live-Kommentatoren, die ihn für einen unbekannten niederländischen Sportler hielten.
Das „offizielle“ Irland entsandte vier Teilnehmer zu diesem Strassenrennen (darunter sowohl Sportler aus der Replublik Irland wie auch aus Nordirland). Der NCA-Fahrer John Mangan suchte sich im Feld dann den Nordiren Noel Taggart heraus, der für das irische Team startete und begann mit dem „Abtrünnigen“ einen Dialog, der schliesslich darin mündete, dass er Teggarts Lenker festhielt und ihn so an den Strassenrand und zum Absteigen zwang. Als Taggart nach dieser Unsportlichkeit wieder weiterfahren konnte, war sein Unterfangen das Feld wieder einzuholen, aussichtslos.
Erst nachdem ein NCA-Fahrer einen Sturz ausgelöst hatte, in den 15 Fahrer involviert waren, gelang es der Polizei, die vier Störenfriede vom Rennen zu entfernen.